Neuland
Textauszug / Ralf Hanselle: Katalog „Ralf Cohen - SYNTHESE“ S. 124
… 2011 unterzog Ralf Cohen seine Althrein-Aufnahmen einem zweiten Transformationsprozess. Indem er nach und nach die Gelatine von den großen Abzügen löste, formte er die Bilder ein letztes Mal um. Das Ergebnis waren Unikate, denen er den Namen „NEULAND“ gab. Es ist gerade diese „NEULAND“- Serie, die sich dem fotografischen Glauben grundlegend verweigert. Zeit, so sagt sie, ist nicht das, was im Motiv eines Bildes wie festgefroren erscheint. Zeit ist ein Prozess, der sich tief in die Fotografie selbst eingeschrieben hat. Denn Fotografien sind für Ralf Cohen eben keine „instants décisifs“; sie sind Schichtungen und Ablagerungen eines langwierigen Transformationsprozesses. Fotografieren heißt für Cohen Wandeln: Im Prozess von Belichtung, Entwicklung und Fixierung, von Nachbearbeitung und Experiment verändert sich die Welt radikal…
Space
Textauszug / Ursula Merkel - Katalog: „Ralf Cohen - SYNTHESE“ S. 8
… Bilder der Serie GLOBAL von 2003 versetzen uns auf hoch ästhetische, geradezu überwältigende Art in die Zeit- und Grenzenlosigkeit des Universums, in die Welt der Planeten, Sternenmeere und fernen Galaxien. Zumindest scheint es so – nicht nur auf den ersten Blick. Tatsächlich verhält es sich jedoch ganz anders. Ausgangspunkt für diese Werkfolge war der Wunsch, die Welt von oben zu sehen. Der Rückgriff auf fremde, vorgefertigte Satellitenbilder aus dem All kam dafür natürlich nicht in Frage, auch wenn sich Cohen mit seinen vermeintlich kosmischen Fotografien zweifelsohne auf derartige Vorlagen bezieht und die geläufigen, wiedererkennbaren Muster ostentativ mit ins Spiel bringt. Wer aber hier vorschnell seinen Augen traut, wird in die Irre geführt. Denn in Wahrheit handelt es sich um Aufnahmen von ganz irdischer Herkunft…
Wasser
Textauszug / Peter Hank - Katalog: „Ralf Cohen - SYNTHESE“ S. 64
… Zum Teil wirkt sich dieses serielle Vorgehen geradezu dramatisch aus, wenn er beispielsweise ins Zentrum eines Neunerblocks mit Aufnahmen einer gischtig aufgewühlten Meeresoberfläche eine Ansicht auf den Kopf stellt. Es entsteht beim Betrachter die Anmutung, als würde das Meer einstürzen, als wäre es nicht das Unterste, in das alle Ströme münden, sondern als gäbe es ein noch Tieferliegendes, wohinein das Wasser abstürzt…
Zeit
Textauszug / Ralf Hanselle: Katalog „Ralf Cohen - SYNTHESE“ S. 123
… Aus, vorbei, Vergangenheit ! In ihrem empirischen Beschwörungen ist die Fotografie stur, dickköpfig und gnadenlos.
Sie, so sollen wir glauben lernen, zeige die sentimentalen Gebrauchsspuren der Zeitenläufe. Und morgen schon werden neue Spuren hinzu addiert werden. Eine wird auf die nächste folgen. Säuberlich werden sie sich an eine Kette aufreihen. Ein neuer Tag, ein neues Foto. Und dazwischen liegt das große Vergessen. Das, was eines Fotos nicht einmal wert war. Das, was ohne Bedeutung war, und was ohne „l‘instant décisif“ verstrich.
Es war der französische Fotograf Henri Cartier-Bresson, der diesen Gedanken in die Welt gesetzt hat. Seither geistert er durch unser mediales Bewusstsein. Fotos, so wollen wir glauben, zeigen „entscheidende Augenblicke“. „Es gibt nichts in der Welt“, so hatte Cartier-Bresson in seiner 1952 erschienenen Monographie „The Decisive Moment“ behauptet, das nicht über einen solch entscheidenden Moment verfügte. Aufgabe des Fotografen sei es lediglich, das Leben aus der Überraschung heraus aufzunehmen - „sozusagen beim Sprung aus dem Bett; in einem Augenblick höchster Dichte.“ …
Experimentelle Verfahren
Textauszug / Ursula Merkel: Katalog „Ralf Cohen - SYNTHESE“ S. 6
… Die Unverwechselbarkeit der Bildsprache von Ralf Cohen resultiert vielmehr aus einem besonderen Gespür für die gleichermaßen außergewöhnlichen wie unbemerkten Ereignisse im Alltäglichem, für die verborgene Ästhetik zufälliger Konstellationen und für das nahezu unerschöpfliche bildnerische Potenzial, das dem Medium der analogen Fotografie durch experimentelle Verfahren wie Hell-Dunkel-Umkehrung, Solarisation, farbliche Verfremdung, Langzeitbelichtung und anderes mehr innewohnt. …
Menschen
Textauszug / Bernhard Holeczek: Katalog „Ralf Cohen - Menschen in Städten"
… Seine mit „Menschen in Städten“ überschriebene Serie farbiger Großphotographien verfolgt auch ein inhaltliches Anliegen. Seine Kamera decouvriert selbst vermeintlich kommunikativen Wandel als Isolation, als Einsamkeit. Gerade das Einander-nicht-Sehen seiner Personen macht sein Lehrstück des Sehens zu einer Aufführung auf doppeltem Boden, bei der das Mittel den Gegenstand in Frage stellt und umkehrt – und deshalb auch wieder zum einzigen dem Thema adäquaten Mittel wird. Die Photographie bildet hier nicht mehr nur ab, sondern macht sich selbst ebenso wie Sehen und Nicht-Sehen sichtbar. „Kunst macht sichtbar“, hatte Paul Klee einst gesagt. …